Atemarbeit mit dem Didgeridoo
WIESBADEN. ? „Dass Menschen mit Behinderung dazu gehören: Jeden Tag, überall!“ Wie das aussehen könnte, wenn der Wunsch des Landesbehindertenbeauftragten von Rheinland-Pfalz, Matthias Rösch, in Erfüllung ginge, ist alle zwei Jahre in Wiesbaden besonders gut vorstellbar. Zum achten Mal hat am Samstag, 17. September, das „Fest für Körper und Sinne“ mitten in der Landeshauptstadt Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen geführt zu Spaß und Spiel, Information und Begegnung. Erstmals wurde dabei zum Auftakt in der evangelischen Marktkirche gleich am Platze gebetet und gesungen ? letzteres so ansteckend und fröhlich, dass nach dem Schlussakkord von einer Teilnehmerin sogar eine „Zugabe“ gefordert wurde.
Jeder ist stark und schwach zugleich
Zuvor hatte Diakon Dr. Christoph Beuers mit Mitgliedern des Spielkreises St. Vincenstift Aulhausen Glocken der Achtsamkeit zum Klingen gebracht mit der Botschaft an alle: „Geht achtsam miteinander um.“ Stadtdekan Nebel griff diesen Gedanken in seiner Predigt auf und verwies darauf, wie wenig achtsam es sei, Menschen einzuteilen, in Starke und Schwache, Gesunde und Kranke. In Wahrheit sei jeder stark und schwach zugleich, das liege ganz nah beieinander. „Wenn nur der etwas zählt, der zahlt“, stehe es schlecht um unsere Welt, so der Stadtdekan. Der Wert eines Menschen bemesse sich eben nicht danach, „was er bringt und ob er funktioniert“, sondern liege im Menschsein an sich.
Ein Blumentopf und sieben Schichten Backpapier
Achtsam mit sich selbst umgehen, das war an diesem Tag nicht schwer. Getreu dem Motto „Alles s(ch)wingt“ gab Musik den Ton an: Für Live-Musik und gute Laune sorgten das Landespolizei-Orchester Hessen ebenso wie die schwungvolle Marchingband Castellum aus Mainz-Kastel oder die Bodelrocker, der pfiffige Rock- und Popchor der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule. Wer Lust hatte, konnte im Klingenden Mobil der Stadt Hanau selbst Hand anlegen, an das Xylophon zum Beispiel oder das Schlagzeug. Oder wie Mustafa (9) und sein Freund Fabio (8) erfahren, wie kinderleicht es ist, sich eine Trommel selbst zu bauen. „Man braucht nur einen Blumentopf, sieben Schichten Backpapier und ganz normalen Kleister“, erklärte Ann-Kathrin Gruber von der Hochschule Fresenius, die den beiden künftigen Musikern beim abschließenden Farbeanrühren behilflich war: Schließlich soll so eine Trommel nicht nur gut klingen, sondern auch gut aussehen.
Am Stand nebenan entlockte Pater Fritz Korte einem aus zwei Abflussrohren gebastelten Didgeridoo die charakteristischen dumpfen Töne. Für den Jesuiten steht dabei allerdings nicht die Musik im Vordergrund: Zweimal fünf Minuten am Tag trainiere er damit die Lunge, „denn die ist mein Knackpunkt“, erzählt er. Mit acht Jahren sei er an Kinderlähmung erkrankt gewesen, außerdem habe er eine schwere Rückgratverkrümmung. Ohne Atemarbeit würde er nicht mehr leben. Wer Lust hatte, das multifunktionale Gerät nachzubauen, für den hatte der Pater einen besonderen Service vorbereitet: eine sorgfältig per Hand geschriebene Bauanleitung.
Bereicherung für das Stadtleben
90 Stände mit Mitmachaktionen, ob im Rollstuhlparcour, beim Selbsttest mit Augenbinde und Langstock oder beim Gebärdensprachenkurs, mit Kinderkarussell, Hüpfburg und Informationen aller Art. Dazu ein mitreißendes Bühnenprogramm den ganzen Tag über: Kein Wunder, dass es schon vorab zur offiziellen Eröffnung viel Lob für die Veranstalter gab. „Eine Bereicherung für das Stadtleben“, sagte Kultusminister Ralph Alexander Lorz, „ein wunderschönes Fest“, so Bürgermeister Arno Gossmann. Der Aufforderung „Schwingen Sie mit“ von Jochen Straub vom Bistum Limburg wurde auf dem gut gefüllten Platz bei trockenem Wetter nur allzu gerne Folge geleistet. Dabei hatte Joachim Mast vom Mitveranstalter, dem Arbeitskreis der Wiesbadener Behindertenorganisationen, schon einen passenden Satz für Regenwetter vorbereitet: „Wir haben genug Sonne in uns.“ (rei)