Vom Geschmack Gottes
Ein gläubiger Muslim, für den das Hadern mit Gott und die religiöse Krise Bestandteile des Glaubens sind; ein Mystiker, „gefangen im Körper eines Philosophen“, der das Leben liebt und mit dem Tod und dem Zustand der Welt alles andere als zufrieden ist, der sich beim Übersetzen des Korans Rat und Hilfe bei Hölderlin und Rilke holt und gerne Mafia-Filme schaut: Wie viel Einblick kann man in eineinhalb Stunden in die Gedankenwelt eines anderen, bislang fremden Menschen bekommen? Wer Ahmad Milad Karimi bei den Abendgesprächen im Roncalli-Haus am Donnerstag, 13. Juni, in der Begegnung mit dem Journalisten Meinhard Schmidt-Degenhard erlebt hat, kann mit gutem Grund antworten: überraschend viel!
Wettbewerb der Verständnisse
Von der ersten Minute an zieht der Islamwissenschaftler das Publikum in seinen Bann, spricht beredt von seiner Religion und durchaus humorvoll von seinem Leben und lässt die faszinierten Besucher an seinem großen Wissen teilhaben. Mit Gelassenheit, für die er ohnehin plädiert, sorgt er dabei für Begriffsklärungen. So sei die „Scharia“ übersetzt „der Weg zur Quelle“, gemeint sei die Sichtweise Gottes auf menschliches Verhalten. Alles Wissen darum und alles Verständnis davon sei relativ, weswegen ihm natürlich auch eine selbst ernannte „Scharia-Polizei“ Angst mache. Überhaupt gehe es im Islam, so seine an diesem Abend immer wieder geäußerte Überzeugung, „um einen Wettbewerb der Verständnisse“, bei dem letztlich nicht das Rechthaben zähle, sondern die besseren Argumente.
Pro und Contra Kopftuch
Aus dieser Sicht stellt sich auch der „mitunter giftig geführte“ Streit um das Kopftuch hierzulande ganz rational als eine Abwägung von Pro und Contra dar. Es gebe gute Gründe dafür, ebensolche dagegen. Jede Frau müsse selbst entscheiden. Wenn sie sich mit bedeckten Haaren Gott näher fühle, habe er davor Respekt. Was er nicht wolle, sei, dass sie wegen ihm als Mann, zum Schutz vor Männern ein Kopftuch trage. Das hinter einem solchen Konzept stehende Männerbild empfindet er als „beleidigend“.
Koran ist kein Prosastück
Vier Jahre hat der Professor für Islamische Philosophie, der an der Universität Münster künftige Religionslehrer und islamische Theologen ausbildet, an der Übersetzung des Korans ins Deutsche gearbeitet. Das Ergebnis bezeichnet er selbst als „interpretativ, selektiv, reduktiv“. Der Koran sei kein Prosastück, das ohne Verluste in eine andere Sprache übertragen werden könne, zumal nicht nur der Inhalt zähle, sondern der Ton, erklärt er und beschreibt den Text seinerseits geradezu liebevoll und mit großem Respekt als „verschwiegen, sehr verspielt und gedichtet, verwirrend und mehrdeutig“. Fundamentalisten, die eine Eindeutigkeit im Verständnis für sich beanspruchten, könnten in Wirklichkeit nur sagen, „was sie denken, was im Koran steht“. Das stehe drin – genauso aber auch das andere. Islamisch bedeute Meinungspolarität, das betont Karimi mit Nachdruck.
Mehr als nur den Ausländer gesehen
Warum der Islam von Offenheit lebe? Weil der Mensch offen sei, sagt der Wissenschaftler und erzählt seinerseits mit berührender Offenheit von sich selbst und seinem wundersamen Werdegang: Der beschwerlichen und fast zwei Jahre währenden Flucht mit den Eltern aus Afghanistan, da war er gerade mal 13 Jahre, und dem bis heute schmerzenden Verlust der Heimat. Dem mühsamen Ankommen in Deutschland mit einem Leben in wechselnden Flüchtlingslagern. Und seiner Dankbarkeit gegenüber einigen Lehrerinnen und Lehrern, die ihm an seinen verschiedenen schulischen Stationen begegnet sind „und mehr in mir gesehen haben als den Ausländer.“ Ihrer Unterstützung verdanke er seinen Erfolg, sagt er schlicht.
Wie nah wir einander sind
Nach einem facettenreichen Streifzug im Schnelldurchgang durch die europäische Geistesgeschichte und die Aufklärung mit Verweisen auf deren Wurzeln auch im Islam, gelangen Gast und Moderator in der Schlussrunde umstandslos zu den ganz großen Fragen – und den ausbleibenden Antworten. „Was wissen wir schon?“ lautete das lakonische Resümee des Religionsphilosophen, der in der Sehnsucht der Menschen nach Weisheit, Sinn, der eigenen Bestimmung das verbindende Element sieht, „um zu begreifen, wie nah wir einander sind“. In den verschiedenen Religionen gebe es ein unterschiedliches ästhetisches Erleben, das man nicht gegeneinander ausspielen dürfe, das man aber kennenlernen könne, sagt Karimi, und verwendet zum Abschluss des Abends dafür ein poetisches Bild, das Moderator und Publikum gleichermaßen zum Staunen bringt: Es gehe jeweils "um einen Geschmack Gottes."
Gespräch im Haus am Dom
Am Dienstag, 18. Juni, um 19.30 Uhr, ist Karimi zu Gast im Haus am Dom, Domplatz 3, in Frankfurt. Im Gespräch mit dem Direktor der Katholischen Akademie Rabanus Maurus, Joachim Valentin, erörtert er konkrete Wege zu einem Dialog zwischen Christentum und Islam. Der Eintritt ist frei.