Kinder sind die besten Achtsamkeitstrainer


Wiesbaden ist in puncto Familienbildung sehr gut aufgestellt: Das hat Sozialdezernent Christoph Manjura beim ersten Wiesbadener Familienbildungstag am Samstag, 23. März, im Nachbarschaftshaus Biebrich festgestellt. „Wir tun viel in Sachen zielgruppenorientierter Elternbildung, bieten Vorträge, Kurse, Beratung und auch aufsuchende Arbeit“, sagte Manjura. Man begleite Familien engmaschig „mit unserem tollen Team“. Die vier Wiesbadener Familienbildungsstätten - in Trägerschaft der katholischen und der evangelischen Kirche, der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und des Nachbarschaftshauses – arbeiten, unter anderem bei regelmäßigen Vorträgen, eng mit dem Amt für soziale Arbeit zusammen.
Kinderbetreuung inklusive
Dass der Bedarf nach einem gemeinsamen Tag auf breiter Veranstaltungsbasis groß ist, zeigte der Anmeldungsstand: Er sei sofort ausgebucht gewesen, freute sich Gastgeberin Michaela Loreth-Schädle vom Nachbarschaftshaus. Zahlreiche Mütter und Väter saßen im Publikum, dabei war auch für die Betreuung ihrer Kinder vor Ort gesorgt. Im Mittelpunkt stand ein Vortrag der Autorin und Erziehungsexpertin Nora Imlau. Verschiedene Workshops boten darüber hinaus umfassende Informations- und Austauschmöglichkeiten.
Das Thema der Referentin – „Liebevolle und entspannte Eltern im Alltagsstress – geht das?“ - traf den Nerv der Besucher. Imlau, Mutter von drei Kindern und schwanger mit Baby Nummer Vier, hat selbst viele Ratgeber verfasst und kennt die Schwierigkeit: „Wie setzt man es nun in die Praxis um?“ Veränderungen ließen sich nur bewerkstelligen, wenn man auch über entsprechende Ressourcen verfüge. „Wenn wir permanent am Limit operieren, geht das nicht. Da wird nur die To-Do-Liste länger“. Wirklichkeit und Ideale klafften nur allzu oft auseinander.
Auf das Wesentliche konzentrieren
Was also tun? Auf das Wesentliche konzentrieren, ist der Rat der Expertin. Perfektionismus setze nur unter Druck. „Die Aufgaben sind groß, doch sie müssen uns nicht überfordern.“ Liebe sei oft „vom Stress überdeckt“ – es gelte, die liebevollen Gefühle, die alle gegenüber ihren Kindern hätten, in liebevolles Verhalten umzusetzen. Dazu sei es wichtig, Ruhe zu bewahren, Atem zu holen. „An den Stressfaktoren lässt sich meist wenig ändern, aber an unserer Haltung.“ Wer teure Achtsamkeitstrainings buche, könne sich das eigentlich sparen, denn, so Imlau, „mit unseren Kindern haben wir die Zen-Meister direkt vor unseren Augen.“ Kinder lebten im Hier und Jetzt, ganz mit der aktuellen Handlung im Reinen. Sie zitierte Rousseau, demzufolge man „Zeit verlieren müsse, um Zeit zu gewinnen.“ Und sei es nur, einmal Atem zu holen und sich bewusst zu machen: Jetzt freue ich mich auf mein Kind, wenn ich es aus der Kita abhole, anstatt mit Handy in der Hand schnell rein und raus zum nächsten Termin.
Mut zum Verwöhnen
Es gebe indes nicht den einen richtigen Weg, sagte Nora Imlau. Individuell zu reagieren sei ebenfalls wichtig. Sie machte darüber hinaus Mut zum Verwöhnen. „Erfüllte Bedürfnisse schaffen zufriedene Kinder.“ Das heiße natürlich nicht, dass man Kindern jeden Wunsch von den Augen ablesen müsse. „Machen Sie schon klar, dass Sie der Kapitän des Schiffs sind.“ Doch um zufrieden zu sein, müssten die Kinder wissen: Sie werden geliebt, ihre Gefühle und Bedürfnisse werden ernst genommen, sie dürfen einzigartig sein. Und auch die Eltern müssten die „Bedürfnistanks“ regelmäßig auffüllen. „Man muss eine Strategie finden, damit alle bekommen, was sie brauchen.“
Work-Life-Balance und Patchworkfamilien
Nach der Diskussion konnten sich die Eltern im gesamten Nachbarschaftshaus an sieben verschiedenen Workshops beteiligen, die von Wiesbadener Expertinnen geleitet wurden: Themen waren unter anderem Patchworkfamilien, Lernen in Bewegung, Suchtprävention, Schulkarriere und Gelassenheit.
Carla Hildebrand von der Evangelischen Familienbildung zieht von Veranstalterseite eine positive Bilanz des Tages: „Es haben etwa 70 interessierte Eltern, darunter viele Väter, heute hier teilgenommen und mehr als 20 Kinder waren in der Kinderbetreuung. Das zeigt, dass dieses neue Format für Familien gut passt.“
Gefördert wurde der Familienbildungstag durch die „Bundesstiftung Frühe Hilfen“.
