Gelungener Brückenschlag
WIESBADEN/GEISENHEIM. ? Extremismus-Prophylaxe ist ein Begriff, der derzeit in der Öffentlichkeit hoch im Kurs steht. Dass diese Prophylaxe in sozialer Arbeit mit Sensibilität und Offenheit für religiöse Überzeugungen und Lebenspraktiken und nicht mit deren Ablehnung verbunden sein muss, ist einer der Kerngedanken des mehrmonatigen Seminars „Religion als Ressource“ der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB). Bei der Abschlussveranstaltung am Samstag, 21. November, in Geisenheim, waren sich Teilnehmer und Veranstalter einig, dass mit diesem Weiterbildungsangebot eine Punktlandung in Sachen Aktualität geglückt ist. Zukunftsweisend und innovativ nannte Johannes Oberbandscheid, Vorsitzender der KEB Hessen, das Projekt, das in Kooperation mit der Goethe-Universität und dem Hessencampus Wiesbaden im Mai dieses Jahres an den Start gesetzt worden war. Eine Fortsetzung im nächsten Jahr ist geplant.
Religion nicht ins Private verweisen
„Die Religionsthematik hat uns angesichts der Flüchtlingszahlen im Verlauf des Kurses rechts überholt“, meinte Professor Harry Harun Behr. Bislang sei Religion in der sozialen Arbeit nicht thematisiert worden, weil sie eher mit den Ursachen, als mit der Lösung von Problemen in Verbindung gebracht werde, sagte der Erziehungswissenschaftler, der an der Frankfurter Universität islamische Religionspädagogik unterrichtet. Wenn Religion aber in den privaten Bereich verwiesen werde, entstehe ein Vakuum zwischen dem mangelnden Angebot in sozialen Handlungszusammenhängen und „Unberufenen, die da vorstoßen und uns das Heft aus der Hand nehmen“.
Seelische Beheimatung
Religion als spiritueller Rückhalt des Menschen und die persönliche Rückbindung an eine Gemeinschaft müssten stattdessen mit Wertschätzung angesehen werden, so das Plädoyer von Behr. Es gehe darum, die emotionale Befindlichkeit der Menschen stärker in den Blick zu nehmen und den Kontext der Klienten mit einzubeziehen: „Wie sie seelisch und religiös beheimatet und damit glücklich sind“. Religiös begründetes Fehlverhalten dürfe dabei im Diskurs nicht ausgeklammert werden, betonte der Wissenschaftler, der sich ausdrücklich für die Erfahrbarkeit von Religion im Sinne einer Öffnung, nicht einer Engführung aussprach und die Kommunikation dabei als den "Schlüssel" bezeichnete.
Christlich-muslimische Tandems
Nicht nur mit der Thematik, sondern auch mit der Didaktik hat das Kursangebot Neuland betreten, wie Dr. Frank van der Velden, Leiter der Katholischen Bildungswerke Wiesbaden-Untertaunus und Rheingau, resümierte. Dazu gehörte eine bewusst gemischte Teilnehmergruppe, zu der Vertreter katholischer und evangelischer Schulpastoral, muslimische Seelsorgerinnen, Mitglieder der äthiopisch- sowie der assyrisch-orthodoxen Gemeinde, der Flüchtlingskoordinator der katholischen Gemeinden in Wiesbaden sowie Sozialarbeiter aus unterschiedlichen Organisationen gehörten. Die vermittelten theoretischen Kenntnisse wurden im Verlauf direkt dem Realitätstest unterworfen. In christlich-muslimischen Tandems erkundeten die Teilnehmer ihre unterschiedlichen Arbeitsumfelder.
Brücken schlagen
„Mehr Brücken von Religion zu Religion zu schlagen“ lautet eine der Forderungen, die aus den positiven Erfahrungen mit diesen Praxisübungen zum Kursabschluss formuliert wurden. „Religion als Ressource“ müsse als Thema in die Aus- und Weiterbildung von Haupt- und Ehrenamtlichen integriert werden, hieß es darüber hinaus, wobei die Nachfrage insbesondere in den Schulen und Berufsschulen von den Teilnehmern selbst als äußerst dringlich beschrieben wurde. Im Blick auf die unterschiedlichen religiösen Identitäten und Lebenspraktiken der ankommenden Flüchtlinge sei interreligiöse Kompetenz unerlässlich, um religiös motivierte Konflikte lösen zu können, betonte Dr. van der Velden.
"Rettet die guten Geschichten" nannte er eine mögliche Strategie, um stereotype Wahrnehmungsmuster und gegenseitige Stigmatisierungen in diesem Zusammenhang zu überwinden. Es gelte, an geglückte Erfahrungen des Zusammenlebens verschiedener Religionen - auch in den Herkunftsländern der Flüchtlinge - zu erinnern und anzuknüpfen. Hier ist im Nachgang des Kurses an eine entsprechende Dokumentation gedacht, in der die Erfahrungen und Träume von Flüchtlingen über das gewohnte und gewünschte Zusammenleben Platz finden sollen. (rei)