"Ich wollte nicht, dass er stirbt"
WIESBADEN. ? Seine Tat verstehen ? wer könnte das, wo es ihm nicht einmal selbst gelingt. „Versuchen Sie bitte nicht, etwas zu begreifen“, ruft der Mann im blutbefleckten, weißen Kittel bitter dem Publikum zu und reißt sich zornig den Strick vom Hals. Seinen Namen wird er erst in den letzten Sätzen seines Monologes „Ich.Judas“ aussprechen können. Dann, wenn er seinen, den unbekannten Teil der bekannten Geschichte erzählt hat. Lebendig und bewegend wird dieser Text, geschrieben von der niederländischen Autorin Lot Vekemans, durch das eindringliche Solo von Jürg Wisbach. Dem Schauspieler, derzeit in Bern engagiert, wo er den Judas bereits in 25 Kirchen gespielt hat, gelingt bei seiner Darstellung in Wiesbaden ein Meisterstück: Hinter der „Ikone des Verrats“ macht er den Menschen sichtbar, wie er gegen sein Schicksal wütet, an seiner Schuld leidet, nach Gerechtigkeit sucht.
Einer aus unserer Mitte
„Ist hier einer, der mich nicht kennt?“ fragt dieser Judas zu Beginn provozierend die Zuschauer, wohl wissend, dass sie ihn sowieso nur auf seine eine Tat reduzieren, ihm eh nur „die Worte im Mund verdrehen“ wollen. Unsicher wirkt er da vor der kargen Kulisse, einem schmalen Holztisch vor einem Palmtuch, in der evangelischen Ringkirche, wo das Solostück auf der Tour durch Wiesbadener Kirchen am Freitag, 15. Januar, Premiere hat. Ein Geächteter, der mit ein paar Witzen gute Stimmung machen will. Erzählt von seiner Kindheit, seinen Eltern, Geschwistern. Zwei Brüder und eine Schwester holt er sich aus dem Publikum auf die Bühne. Er selbst ist einer aus unserer Mitte, hier und heute. Wisbach wechselt immer wieder die Spielebenen, hebt die Distanz zu der Figur auf und es passiert Erstaunliches: Die Zuschauer sind miteinbezogen, spielen wie der Kirchenraum ihre eigene Rolle in diesem Drama, das auf einmal nicht 2000 Jahre zurück liegt, sondern ganz nah ist und mit seinen Fragen nach Schuld, Verantwortung und Vergebung alle angeht.
Warum man lebt
Was ihm Jesus bedeutet hat, den er als Meister und Freund bezeichnet und bis zuletzt nicht mit Namen nennt, wird in berührenden Sätzen deutlich: Er sei es gewesen, auf den er gewartet habe, nicht der Liebe, sondern der Wahrheit wegen, sagt er an einer Stelle und fügt nachdenklich und voller Überzeugung hinzu: „Manchmal weiß man im Bruchteil einer Sekunde, warum man lebt.“ Und seine ungeheuerliche Tat? Man handele ja eher aus Zweifel heraus, als aus dem Glauben, fällt ihm, fast hilflos nach Antworten ringend, dazu ein. Und wie furchtbar schnell so eine Entscheidung getroffen sei, die man schon im nächsten Moment als falsch erkennt und nicht mehr zurück nehmen kann. „Ich wollte nicht, dass er stirbt“, schreit er in die Kirche hinein und versucht entgegen seiner eigenen Beteuerungen, sich zu rechtfertigen: „Woher sollte ich wissen, dass es so viel Hass gab?“ Dann überkommt ihn großer Selbstekel, und er spuckt wieder und wieder auf seine Hände, die die 30 Silberlinge gehalten haben.
Dunkelheit oder Licht
Was diesem Judas ganz am Ende bleibt, ist nicht nur die existenzielle Frage nach der Erlösung ? „Hat er mir vergeben?“ - ,sondern auch eine Art von trotzigem Stolz: Musste nicht einer diesen Verrat begehen, damit die Geschichte genau diesen Verlauf nimmt? Ist nicht auch an ihm, Judas, der Kelch eben nicht vorbei gegangen? „Dunkelheit oder Licht: Manchmal gibt es nichts dazwischen.“ (rei)
Weitere Aufführungen sind am 16. Januar um 19.30 Uhr (Kreuzkirche), am 12. Februar um 20 Uhr (Evangelische Kirche Hochheim), am 13. Februar um 20 Uhr (St. Mauritius), am 14. Februar um 17 Uhr (Evangelische Kirche Bierstadt), am 12. März um 20 Uhr (St. Bonifatius) sowie am 13. März um 20 Uhr in der Lutherkirche. Anstelle eines Ticketverkaufs wird vor Ort um eine entsprechende Spende gebeten. Weitere Informationen zum Stück und zu dem Begleitprogramm unter www.kirche-und-kultur.de, sowie unter www.staatstheater-wiesbaden.de.