„Das ist für mich gelebter Glaube“
Christiane Stockhausen kann sich noch gut an den Anruf erinnern. Die 68-Jährige war im Oktober 2017 im Urlaub, als ihr Handy klingelte. Im Pflegeheim, in dem sie seit sechs Jahren Wortgottesdienste leitet, waren überraschend zwei Mitarbeiter gestorben. Der Schock bei den Familien, Kollegen und Bewohnern saß tief. Was kann man da tun? Was müssen wir vorbereiten? Das waren einige Fragen am Telefon, erinnert sich die Wiesbadenerin. „Wir waren diejenigen, die sie von der katholischen Kirche kannten“, erzählt Stockhausen.
Wenige Tage später findet in der Einrichtung ein Gebet für die Verstorbenen statt. Richtig darauf vorbereitet, fühlte sich Stockhausen nicht. Viele Bewohner und Mitarbeiter sind gekommen. Auch die Familien und Angehörige sind da. Dort, wo sonst immer ein Wortgottesdienst gefeiert wurde, stehen nun zwei Bilder, mit Blumen geschmückt. „Da waren wir natürlich geschockt“, erzählt Stockhausen. „Wir kamen in eine dumpfe Glocke von Trauer. Wir waren ergriffener, als man es sein sollte.“ Erst im Nachhinein begreift Stockhausen, dass sie bei den Leuten den richtigen Ton getroffen haben muss. Sie wird angesprochen, erfährt so von weiteren Trauerfällen. Es folgen viele Gespräche. Später wünscht sie sich, als Ehrenamtliche besser auf solche Situationen vorbereitet zu sein.
Menschen begleiten und Trauernde trösten
Es sind Fälle wie der von Christiane Stockhausen, die die Pfarrei St. Birgid in Wiesbaden ermutigen, neue Wege in der Trauerbegleitung einzuschlagen. Seit mehr als einem halben Jahr beschäftigen sich Engagierte in der Pfarrei bereits mit der Frage, wie die Pfarrei heute ihre Seelsorge für Trauernde neu aufstellen kann, wie sich Ehrenamtliche stärker engagieren und wie Fragen von Tod und Sterben zu einem Anliegen der gesamten Pfarrgemeinde werden können. In der vergangenen Fastenzeit rückte die Pfarrei das Thema mit vielen Veranstaltungen und Angeboten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Im Mai wurden elf Ehrenamtliche ausgewählt, die sich für eine zweijährige Ausbildung interessieren und beworben hatten. Das Bistum Limburg unterstützt die Pfarrei. St. Birgid in Wiesbaden ist ein Erkundungsprojekt.
Wir würden gerne Menschen in dieser Situation intensiver begleiten.
Pfarrer Frank Schindling
Davon, dass sich etwas ändern muss, ist Pfarrer Frank Schindling überzeugt: Der gesellschaftliche Umgang mit Tod und Sterben habe sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Bestatter liefen der Kirche heute den Rang ab und machten Angebote „mit allem, aber ohne Kirche“. Nach der Beerdigung verliere die Pfarrei oftmals den Kontakt zu den Trauernden. „Dann sind sie einfach weg“, bedauert der Pfarrer. Dabei seien Menschen in diesen Situationen besonders offen für Gespräche über den Glauben. „Wir würden gerne Menschen in dieser Situation intensiver begleiten.“ Die Begleitung von Trauernden sei, so Schindling weiter, nicht nur eine grundsätzliche Aufgabe der Kirche, sondern auch gemeinschaftlicher Dienst aller Christen. Für den Pfarrer geht es in dem Projekt aber nicht nur um eine neue Trauerpastoral, sondern auch um ein modernes Bild von Kirche: um Partizipation möglichst vieler und darum, dass sich die Gläubigen ihrer Taufwürde und Berufung als Christen bewusst werden.
Ehrenamtliche, die Verantwortung übernehmen wollen
Bei den Engagierten kommt das gut an: „Mein Herz brennt für das Projekt“, sagt Barbara Schmidt aus der Pfarrei. „Das ist für mich gelebter Glaube, dass ich Menschen, die trauern, begleiten darf.“ Vorher sei sie skeptisch und unsicher gewesen. Doch durch die Erfahrung von Todesfällen in der Familie sei der Wunsch gewachsen, sich gerade dort verstärkt einzubringen. „Liegt uns etwas an der Gemeinde? Liegt uns etwas an der Kirche? Dann ist jetzt die Zeit, Verantwortung zu übernehmen“, findet auch Christine Klaus, die Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. Beide gehören zu den elf Personen, die bald mit der Ausbildung beginnen wollen. (Lesen Sie hier ein Interview mit Christine Klaus)
Im ersten Jahr gehe es dabei besonders um theoretische Inhalte, erklärt Stephan Lechtenböhmer, Pastoralreferent in St. Birgid und verantwortlich für das Erkundungsprojekt. Das zweite Jahr sei praxisbezogener. „Wir wollen Anfang September mit einem ersten Modul einsteigen.“ Dabei würden persönliche Trauererfahrungen der Ehrenamtlichen im Mittelpunkt stehen. Wie es danach weitergehe, will Lechtenböhmer noch offen lassen. Zwar gebe es bereits einen Zeitplan für die Ausbildung, das Team wolle aber mit den Leuten gemeinsam unterwegs sein und auf deren Bedürfnisse und konkreten Fragen eingehen. „Das Ganze ist im Prozess.“
Das Bistum Limburg hat im September 2017 Erkundungsprojekte gestartet, um in den Bereichen Gemeindeleitung, Charismenförderung und Trauerbegleitung neue Ideen und Modelle zur erproben. Die Erkundungen in verschiedenen Pfarreien und Kirchorten im Bistum Limburg sind zunächst auf drei Jahre ausgelegt. Das Bistum Limburg unterstützt und berät dabei die Akteure vor Ort.